„Ich bin in dichter Not!“
Briefe eines zwangsmigrierten Philosophen im Archiv der Gemeinnützigen Gesellschaft Luzern
Was haben wir nicht schon alles entdeckt in den verschiedenen Archiven, in denen wir tätig waren: Nebst einigen historischen Trouvaillen und verschwunden geglaubten Einzelstücken auch mumifizierte Mäuse, grössere Summen Bargeld oder eine Sammlung von Kieselsteinen. Überraschungen sind wir also gewohnt. Manche dieser unerwarteten Funde sind allerdings Zeugen vergangener Not und Verzweiflung – und hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack.
So erging es uns mit einigen Briefen, die wir bei der Aufarbeitung des Archivs der Gemeinnützigen Gesellschaft Luzern (GGL) fanden. Die Briefe stammen von Arthur Liebert und erlauben Einblicke in das Schicksal eines deutsch-jüdischen Gelehrten auf der Flucht. Luzern spielt dabei eine bemerkenswerte Rolle.
Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht ergriffen, musste Arthur Liebert Deutschland umgehend verlassen. Der Berliner Philosoph war zwar bereits seit 1905 zum protestantischen Christentum konvertiert, hatte allerdings als «Arthur Levy» das Licht der Welt in einer jüdischen Familie erblickt. Im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung verlor der Professor nun seine Lehrbefugnis und war gezwungen, seine Karriere im Ausland fortzusetzten.
Liebert migrierte daraufhin nach Belgrad, wo er eine befristete Professur antrat. Noch immer war seine Lage prekär. Er musste – wie alle damaligen Gelehrten – publizierten, wollte er seine Existenz sichern. Dem Verlagswesen ging es allerdings miserabel und bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war eine Exilpublikation einzig noch in der Schweiz möglich. Zu dieser, besonders zur Innerschweiz, hatte Liebert bereits seit den frühen dreissiger Jahren eine gute Beziehung.
Mit zunehmender Not schrieb der Philosophieprofessor immer öfter nach Luzern. Hier hatte er bereits dutzende Vorträge gehalten, aus denen schliesslich sein Büchlein: «Der Liberalismus als Forderung, Gesinnung und Weltanschauung» entstand. Diese Referate hatten im Rahmen der «Freien Vereinigung Gleichgesinnter in Luzern» stattgefunden. Es war deren Vorsitzender, Franz Xaver Burri, der den folgenden, dringlichen Hilferuf kurz vor Kriegsausbruch an Max S. Wey, Luzerner Nationalrat und Präsident der GGL, weiterleitete:
Liebert gelang die Ausreise nach England schliesslich in letzter Minute. Anders als andere konnte er sich damit vor dem sicheren Tod retten: 1941 eroberten deutsche Truppen Belgrad, 7500 Juden wurden daraufhin ins Konzentrationslager Sajmište deportiert und ermordet.
Die Korrespondenz zwischen Arthur Liebert und der liberalen Luzerner Szene befindet sich mittlerweile im Stadtarchiv Luzern. Das historische Archiv der GGL wird hier als Depot aufbewahrt – und ist damit für die interessierte Forschung zugänglich.
Text: Judith Kälin
Bilder: Rege Korrespondenz zwischen Luzern und Belgrad, Stadtarchiv Luzern, D185/06.02.
Literatur:
- Hartung, Gerald/ Schiller, Kay (Hg.): Weltoffener Humanismus. Philosophie, Philologie und Geschichte in der deutsch-jüdischen Emigration, Bielefeld 2006.
- Mehring, Reinhard: Philosophie im Exil. Emil Utitz, Arthur Liebert und die Exilzeitschrift Philosophia. Dokumentation zum Schicksal zweier Holocaust Opfer, Würzburg 2018.